35-Stunden-Woche – Vor- oder Nachteil für die Arbeitswelt?

Veröffentlicht am: 31.10.2022Kategorie: News & Trends

Island hat sie bereits eingeführt, andere Länder haben Testläufe dafür gestartet. Nun steht die 35-Stunden-Woche auch in der Schweiz zur Debatte und passt damit perfekt zum Gedankengut der New Work. Die Corona-Pandemie und der anhaltende Fachkräftemangel haben immer mehr Schweizer Firmen dazu bewegt, sich zumindest Gedanken über die Einführung neuer Arbeitszeitmodelle zu machen. Andere, zum Beispiel die Marketing-Firma Addvanto, haben ihre Arbeitswochen bereits auf vier Tage verkürzt, und dies bei gleichbleibendem Lohn. Im Dezember 2021 wurde auch der erste politischen Vorstoss dazu gemacht. Der Bundesrat zeigt bis jetzt aber kein Interesse daran, landesweit die Arbeitswoche zu verkürzen. In den folgenden Abschnitten werden wir beleuchten, worin genau die Vorteile einer 35-Stunden-Woche bestehen und wo das Modell schwächelt.

Ähnlich, aber nicht das Gleiche

Zuerst muss gesagt werden, dass es einen Unterschied zwischen einer 35-Stunden-Woche und einer Teilzeitanstellung gibt. Zwar arbeiten Mitarbeitende bei einem Anstellungsgrad von 80% auch nur etwa 32 Stunden pro Woche, bekommen aber auch dementsprechend weniger Lohn. Der Grundgedanke hinter der verkürzten Arbeitswoche ist aber, dass bei weniger Arbeitszeit das volle Gehalt bezahlt wird.

Die zeitliche Aufteilung der 35-Stunden-Woche kann je nach Branche unterschiedlich aussehen. In einigen Jobs wird eine tägliche Anwesenheit verlangt, weshalb die Einführung eines sieben-Stunden-Tages sinnvoll ist. Wo die Präsenz nicht gewährleistet werden muss, kann es auch auf eine Vier-Tage-Woche hinauslaufen. Um die Leserschaft nicht in Verwirrung zu bringen, wird in diesem Text deshalb der Term 35-Stunden-Woche verwendet.

Vorteile – Mehr Zeit, mehr Motivation

Im ersten Moment scheint uns das Konzept der 35-Stunden-Woche wie ein Sechser im Lotto. Verschiedene Studien bestätigen denn auch, dass sich die Reduktion der Arbeitszeit positiv auf die Arbeitsleistung auswirkt. In den meisten Fällen steigt die Produktivität der Beschäftigten oder verschlechtert sich zumindest nicht. Das liegt daran, dass Mitarbeitende dank einer besseren Work-Life-Balance ausgeglichener und motivierter zur Arbeit kommen.

Diese Zufriedenheit wirkt sich auch positiv auf die Gesundheit der im Unternehmen Tätigen aus, was bedeutet, dass es weniger oft zu Krankschreibungen kommt. Zudem werden die Fälle von Burn- und Boreouts minimiert, was auch dazu führt, dass Arbeitnehmende einer Firma länger treu bleiben. Das spart dem Unternehmen nicht nur viel Geld und Einarbeitungszeit, sondern sorgt auch dafür, dass wertvolles Wissen und Know-how nicht verloren gehen. Durch die Einführung der 35-Stunden-Woche können zudem weitere Kosten gespart werden, da weniger Strom für Licht, Heizung und Gerätebetreibung benötigt wird. Ein weiterer positiver Aspekt einer Verkürzung der Arbeitszeit ist die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Besonders Mütter, aber auch gerade alleinerziehende Väter haben bessere Jobperspektiven, da sie flexibler arbeiten und sich der Doppelbelastung Kind und Karriere mit mehr Energie stellen können. Dies bringt dem Schweizer Arbeitsmarkt wiederum mehr Fachkräfte, welche gut gebraucht werden können.

Nachteile – Weniger Zeit, weniger Kollaboration

Weniger Zeit für das Erledigen der anfallenden Arbeiten zu haben, kann aber auch mehr Stress bedeuten. Bei einem kürzeren Arbeitstag fallen zudem oft die grösseren Pausen weg, da von Gesetzes wegen erst nach sieben Stunden eine dreissigminütige Pause gemacht werden muss. Das kann sich wiederum negativ auf die Produktivität auswirken. Viele kreative Lösungsansätze und Ideen werden heute in lockerer Atmosphäre am Mittagstisch oder in der Kaffeeecke gefunden. Diese Begegnungsorte fallen bei einem kürzeren Arbeitseinsatz weg. Nicht zuletzt leidet auch der Teamgeist darunter, wenn sich Mitarbeitende nicht mehr in der gemeinsamen Mittagspause austauschen können.

Je nach Berufsgattung ist es zum Teil unumgänglich, dass Angestellte mindestens acht Stunden am Tag vor Ort sind. Dies gilt besonders im Kundenservice, aber auch bei der Betreuung von Menschen wie zum Beispiel in Pflegeberufen. Hier würde sich eine verkürzte Arbeitswoche kaum auszahlen. Arbeitsschichten, die zuvor von einer Person gedeckt werden konnten, müssten dann von mindestens zwei Angestellten übernommen werden. Ausserdem sind in vielen Berufen, vor allem in handwerklichen, acht Arbeitsstunden schon eher knapp bemessen. In den Bereichen, wo eine 35-Stunden-Woche Sinn macht, wozu die meisten Bürojobs gehören, ermöglichen Arbeitszeitkonten und Homeoffice bereits heute eine relativ flexible Zeiteinteilung. Hier stellt sich die Frage, ob eine weitere Anpassung der Arbeitszeiten wirklich notwendig ist.

Die Zeit wird es zeigen

Ob eine branchenübergreifende 35-Stunden-Woche sinnvoll für den Schweizer Arbeitsmarkt ist oder ob sie in manchen Bereichen eher mehr Schaden als Nutzen bringt, sei dahingestellt. Wichtig ist auf jeden Fall, dass sich Arbeitgebende wie auch Arbeitnehmende mit der sich rasant verändernden Arbeitswelt auseinandersetzen. Vor einigen Jahren wäre es beispielsweise noch undenkbar gewesen, dass Mitarbeitende regelmässig im Homeoffice arbeiten und Team-Meetings online stattfinden. Heute gehört beides zur Arbeitsrealität und hat für viele Menschen Türen geöffnet, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären. Was für Möglichkeiten neue Arbeitszeitmodelle bieten, erschliesst sich uns nur allmählich. Lassen wir uns also überraschen, was ausser der 35-Stunden-Woche sonst noch auf die Berufswelt zukommt.

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